Porträts Von Fremden

Eine Kellnerin in schwarzer Schürze stellte schwungvoll eine Tasse auf den Tresen. „Einmal schwarzer Kaffee für hier.“ Der Junge hinter der Theke bedankte sich und legte einen Schein vor sie. Bevor die Kellnerin ihm das Rückgeld rausgeben konnte, hatte er sich mit dem Kaffee an einen der Tische gesetzt und schlug ein Notizbuch auf. Dann fing er an in einer sehr krakeligen Schrift etwas zu notieren. Es war ein brühend heißer Tag und außer dem Jungen war kein Gast im Café, weswegen sich die Kellnerin ein Glas Wasser nahm und sich damit an den Tresen setzte. Verträumt schaute sie in die Luft und zählte die Zeit bis zum Ende ihrer Schicht. Sie konnte es kaum erwarten endlich nach Hause zu können, um zu duschen. Es kamen keine weiteren Kunden, allerdings bestellte der Junge noch zwei weitere schwarze Kaffees. Bei der dritten Bestellung konnte sich die Kellnerin die Frage nicht verkneifen: „Wie hältst du es eigentlich aus bei diesem Teufelswetter heißen Kaffee zu trinken? Du weißt, dass wir auch eisgekühlten verkaufen?“

Der Junge blickte überrascht von seiner Schreibarbeit auf und sah sie an. „Ich mag einfach heißen Kaffee. Ich brauche ihn. Stell dir vor ich bin ein Auto und heißer Kaffee ist mein Benzin. Ohne ihn springt mein Gehirn gar nicht erst an. Man könnte es eine Koffeinsucht nennen, aber das trifft es nicht vollkommen. Es tut nicht einfach jede Art von Koffein, es muss schon Kaffee sein. Und die Temperatur ist eben auch entscheidend.“ Das Mädchen lachte. Das schien ihr ein ziemlich komischer Junge zu sein, wie er in sein Notizbuch schrieb und heißen Kaffee im Sommer trank. Und dann sprach er auch noch in Rätseln. Interessant, aber seltsam. Zum Glück hatte sie heute keine anderen Kunden. Sie mochte interessante Menschen. „Was schreibst du da?“, fragte die Kellnerin. Der Junge zuckte mit den Schultern. „Ach, ich arbeite gerade an einem Roman. Aber ich komme kaum vorran. Bei diesem Wetter fehlt mir oft die Inspiration, ich schreibe am besten bei Regen. Aber diese Hitze macht mich schwerfällig und langsam im Denken.“ „Du bist Schriftsteller?“ Die Kellnerin war begeistert. Sie hatte noch nie einen echten Schriftsteller getroffen. In ihrer Vorstellung waren alle Autoren entweder steinalt oder tot, aber der Junge vor ihr war vielleicht ein-zwei Jahre jünger als sie selbst. „Naja, ich wäre gern einer. Ich habe noch nie etwas fertiges veröffentlicht…“, entgegnete er. „Das heißt nichts. Du schreibst also bist du Schriftsteller. Ich male, also bin ich Künstlerin, so einfach ist das mit der Kunst.“ „Also malst du?“ „Meistens zeichne ich, aber ich mag auch Acryl und Wasserfarben.“ Ein Lächeln schoss über ihre Lippen. „Ich arbeite hier, weil ich mir sonst die Utensilien nicht leisten könnte.“ „Aha, und was malst du alles?“ „Am liebsten Porträts. Ich finde Menschen einfach besonders interessant.“ „Ich auch.“, antwortete der Junge. Die Kellnerin verstand nicht wirklich, was er damit sagen wollte. Wie konnte man ein Porträt schreiben? Für sie hatten Bilder schon immer mehr ausgesagt als Worte. Zuhause fertigte sie eine Skizze von dem Jungen an, so wie er ihr im Gedächtnis geblieben war, der genaue Inhalt ihrer Unterhaltung verblasste mit der Zeit, sein Gesicht jedoch nicht. So kam es auch, dass sie ein paar Jahre später in einem Zeitschriftenladen wieder darauf stieß: Auf dem Titelblatt einer Tageszeitung prangte ein Bild von ihm. Er hatte ein Buch veröffentlicht. „Porträts von Fremden.“ Sie erinnerte sich zurück an diesen merkwürdigen Jungen und an seine Art übers Schreiben zu reden. Neugierig geworden suchte sie einen Buchladen und blätterte durch die Seiten. Gleich beim ersten Kapitel stockte sie und lächelte. Es hieß: „Ich male, also bin ich Künstlerin.- Porträt einer Kellnerin.“ Sie kaufte das Buch.

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