Ihre Fingerspitzen strichen über den schimmernden, samtweichen Stoff des Kleides. Er war kühl und geschmeidig, gab sanft unter ihrer Berührung nach. Doch an ihren Händen spürte sie nur Rauheit – harte, vernarbte Haut, gezeichnet von Kämpfen, von Arbeit, von Entbehrung.
Der Stoff erinnerte sie an den Himmel über den Bergen bei den Minen – das sanfte Rosa eines Sonnenaufgangs, das in ein endloses Blau überging. Goldene Stickereien schimmerten entlang der Säume, Diamanten funkelten auf dem Korsett, als würden sie Atem holen.
Sie schluckte schwer.
Etwas in ihr zog, zerrte, riss. Ein Echo aus einer anderen Zeit.
Und plötzlich war sie nicht mehr hier.
Der Stoff lag auf ihrer Haut – weich, schmeichelnd, fast lebendig. Jede Bewegung ließ ihn sanft über ihre Haut gleiten, wie eine Erinnerung, die noch nicht verblasst war.
Ihr Spiegelbild zeigte eine andere Version ihrer selbst – eine, die längst verschwunden war. Die schwarzen Locken waren hochgesteckt, doch ein paar widerspenstige Strähnen hatten sich gelöst, tanzten auf ihrem Nacken. Ihre Wangen waren leicht gerötet, ihre Lippen umspielte ein kaum merkliches Lächeln.
Und dann war da Baptiste.
Seine leuchtenden blauen Augen fixierten sie – so intensiv, so unverhohlen, dass sie für einen Moment glaubte, die Welt könnte sich wirklich nur um sie beide drehen.
Er lächelte – dieses spitzbübische, ungeduldige Lächeln – und streckte die Hand aus.
Sie ließ ihre Hand in seine gleiten.
Er zog sie zu sich, hielt sie fest, als würde er sie nie wieder loslassen wollen.
Der Raum um sie herum verblasste.
Musik. Stimmen. Gelächter. Sie existierten noch – aber gedämpft, fern, bedeutungslos. Es gab nur ihn. Nur seine Nähe.
Tanzend, eng aneinandergeschmiegt. Seine Hände ruhten sicher auf ihren Hüften, warm, besitzergreifend. Seine Lippen streiften ihren Nacken, langsam, fast andächtig. Ein sanftes Lächeln, ein Flüstern –
Versprechen, die süß klangen, betörend, wie Honig, der auf ihrer Zunge zerging.
"Wir für alle Zeit."
Und in dieser Nacht fühlte es sich an, als wäre sie zum ersten Mal nicht allein.
Dann – ein Geräusch.
Die Eingangstür ging knarzend auf, die Glocke bimmelte leise.
Die Wärme seiner Berührung schwand.
Der samtige Stoff wurde wieder fremd, nur noch Stoff, nur noch Erinnerung.
Ihre Finger lösten sich hastig von dem Kleid, als hätte es sie verbrannt.
Sie blinzelte, atmete flach, ihr Brustkorb hob und senkte sich unruhig. Ein unmerkliches Zittern rann durch ihre Hände.
Der Geschmack von damals lag noch immer auf ihrer Zunge – süß und bitter zugleich.
Sieg schmeckte nach Blut.
Liebe nach Verrat.
Und Samt... Samt schmeckte nach Erinnerungen, die sie lieber vergessen hätte.
Ihre Lungen brannten, und ihre Beine gaben zitternd nach. Sie ließ sich auf den staubigen Boden sinken, hörte, wie das Siegesgeschrei um sie herum immer lauter wurde, und legte die Hände flach auf den Boden, der unter ihr bebte – wie ein lebendiges Echo des Kampfes.
Sie schloss die Augen. Ihr Mund schmeckte nach Blut – nach Eisen, nach Schmerz – und nach Sand, der ihre Zunge rau machte, als wolle er sie ersticken. Ihre Kehle fühlte sich trocken an, ausgedörrt von Staub und Erschöpfung. Sie schluckte schwer.
Dann eine Berührung. Ein fester Druck auf ihre Schulter – direkt auf die verbrannte Haut. Schmerz zuckte durch sie, ein dumpfes, brennendes Pochen. Sie zuckte leicht zusammen.
"Es tut mir leid."
Langsam hob sie den Kopf. Brians dunkle Augen, ernst, erschöpft. Sein Gesicht war von Ruß verschmiert, seine Hände – blutverkrustet.
"Ist schon gut." Nila lächelte leicht, ein schwaches, müdes Lächeln.
"Komm, ich helfe dir auf."
Er streckte ihr die Hände entgegen. Mit einem ächzenden Atemzug rappelte sie sich hoch, ihre Muskeln protestierten, ihre Knie wankten unter dem Gewicht von Kampf und Sieg zugleich.
Noch immer klang das Jubeln der anderen um sie herum – laut, wild, triumphierend. Doch als sie sich umsah, merkte sie, dass nicht alle feierten.
Trauernde Gesichter, gebeugte Körper neben den Toten. Stille Tränen liefen über Wangen, Schluchzen mischte sich in das Siegeslied. Manche starrten ins Leere, als hätten sie den Blick für die Welt verloren.
Sieg schmeckte nach Blut. Nach Sand. Nach Asche. Und in der Luft lag nicht nur Triumph – sondern auch der bittere Nachgeschmack dessen, was verloren gegangen war.